ANNE-KATRIN ALTWEIN

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Herbert Schönemann, ehem. Direktor Galerie am Fischmarkt Erfurt, i. R., 2007

Die vielfältig differenzierte, scheinbar in sich gegensätzliche bildhauerische Arbeit der Künstlerin Anne-Katrin Altwein wird stets von neuen Anfängen bestimmt, im Gestalterischen wie im Einsatz der Mittel. Der kompakte Bau der Skulpturen leiser Töne steht gegen den splittrigen, spröden strukturreichen, bewegungsreichen Geist der Plastik, was nicht nur auf die Spezifik der Materialien orientiert ist, sondern auf die Prüfung von These und Antithese, da alle möglichen Erscheinungen verschieden interpretierbar sind. Die vorgenommenen Ziele bleiben offen. Oft führt die beanspruchte Thematik in die Denkwelten frühester Menschheitserfahrungen, übt sie sich an Urbildern erahnbarer Herkunft, um die aktuelle Wirklichkeit mit den nie veränderten menschlichen Bestrebungen zu konfrontieren.

Die Skulpturen Odins Raben und die Midgardschlange, Diabas, 1992, Franz und der Vogel, Sandstein, 1992, tragen an einer historischen Herkunft, die sie elementar aus dem Stein heraus verantworten. Das tiefe glänzende Schwarz der Raben wird ihrer Wesenheit gerecht, da sie aus einer rauen Welt germanischen Götterglaubens entsprungen sind. Franz (von Assisi) und der Vogel lebt aus einer hellen friedsamen Überzeugung für eine zu bewahrende Schöpfung. Nie ist es ein gegenständliches Vorbild, das die Bildhauerin beansprucht, eher ist die Arbeit von einer subtilen eigenen Philosophie bestimmt, woraus die Charaktere entstehen, Mensch oder Tier, Mensch und Tier, gegenwärtig, Wesen, die als Kunst im öffentlichen Raum unabdingbar für ihre Ziele streiten. Die groß dimensionierten Werke Drei Moiren, Marmor, 2004, vor dem Klinikum Jena veranlassen entschieden zum Innehalten, denn sie bilden gleichsam in dieser Haltung eine Barriere gegen die Beliebigkeit des baulichen Umfeldes und der Geschäftigkeit. Die Moiren im gleißenden Weiß des Marmors halten zu allen Distanz, wirken aus ihren Innensichten tiefen Mitgefühls für den Ort Klinikum. Die hohe Präsenz ihrer Körperlichkeit, die verhaltene Mimik und Gestik imaginieren Gewissheiten über jeden Tag hinaus.

Jeden Auftrag entwickelt Anne-Katrin Altwein aus der Spezifik der neuen Umstände. Das Verwandtschaftliche zum schon geschaffenen Werk ist nie beabsichtigt. Das oft Gegenständliche hat große Volumen wie auch nahezu körperlose Plastizität, aber es entsteht ein Ganzheitliches, auch im Torso, in Körperteilen, Händen, Beinen, die zu Psychogrammen menschlicher Natur werden. Die scheinbar skizzenhaften Skulpturen, Plastiken, die etwas Vorläufiges vorgeben, sind aber das Endgültige, sobald das künstlerisch Vorgenommene aussagt. Das Unheroische, Unentschlossene, Zweifelnde in der gestalterischen Bloßlegung menschlicher Existenz, auch zum Grenzvorgang hin, deutet alles zum Gleichnis: Der Gralsucher, Bronze, 2001 geschaffen für die Polizei-Inspektion Apolda, Die Botschafterin, Bemühtes Sitzenverweisen auf den Gewinn und Verlust im Leben, aber auch auf das Verbrauchtsein hin, den körperlichen Verfall, auf Erfolglosigkeit. Diese Wesen, so unterschiedlich sie auch orientiert sind, halten sich an der Wirklichkeit, überzeugt von ihren Aufträgen.

In der Minimierung der Materialien und den gestalterischen Mitteln zu linearen Strukturen, durch die der Wind geht, 2003, verknappen sich Aussagen auf die Andeutung sanfter, splittriger, wie vehementer Bewegungen. Das plastische Gestalten wird immer wieder in das Experiment getrieben, in den Charakter von Studien geführt, ohne jeglichen Aussageverlust. 2004 entsteht das Auftragswerk Ich, Bonifatius, Knecht der Knechte Gottes, Marmor, für die Propstei Erfurt-Mühlhausen. Ein Werk aus einem Guss, ein Innen und Außen von subtiler Zwiesprache, überzeugender Glaubenshaltung. Kopf, Körper, die Bewegung der Arme halten die Spannung des „Apostels der Deutschen“ auf das Ziel hin hoch, ein Gleichgewicht zu finden zwischen Auftrag und Begreifen der Zeitverhältnisse. Die archaische Schlichtheit der kompakten Skulptur deutet die geschichtlich frühe Zeit in der Vorromantik seismographisch auf eine mögliche Weltsicht unsicherer vorgestellter Gesellschaftlichkeit.

Mimik und Gestik sind angehalten, jede Handlung ist eingestellt, gleichsam wird ein Warten in Geduld bewusst gemacht. Die Grundprinzipien einer geschlossenen Skulptur sind von Anbeginn der bildhauerischen Arbeit zu einem wesentlichen Teil der Kunst geworden, sobald sie vom Stein ausgeht, umso entschiedener entmaterialisiert sie im plastischen Aufbau ihrer Werke die Formgestalt zu luftdurchlässigen Wesen, die nahezu in eine Transparenz freigelegten Geistes aufgehen.

Ein „Astwerk“Programm durchzieht die Tanzenden Äste, die Besuchenden, Die Botschafterin, Die Stehendemit völlig eigenen künstlerischen Herkünften. Dieses scheue Bemühtsein der Figurationen, mit fast leeren Händen für die eigenen ernsthaften Anliegen zu werben, ohne erkennbare Resignation, ist von ungewöhnlicher Ästhetik.

Von 2005 bis 2007 erarbeitet Anne-Katrin Altwein für Jena ein Brunnenensemble Sibylle und Schrödingers Katze, Bronze (H 2,50 x L 4,00 m), die von der Nähe kaum zu definieren ist. Im Umschreiten des Werkes, in einer Abstandnahme, wie in einer geduldigen Wartehaltung nimmt man die aus vielen Perspektiven nur wahrnehmbare Anlage ins Bewusstsein, dass die Sibylle ihren Ort mit tiefer innerer Überzeugung eingenommen hat. Der Künstlerin Weisheit hat dieses schwierige Ereignis erstritten. Hier lebt ein eigenes Selbstbewusstsein im Andenken weiter. Und mit Humor konfrontiert Schrödingers Katze mit Wasserstrahl das selbstsichere Weib in ihrer sperrigen Welt.

Was mit Gewissheit in allen bildhauerischen Arbeiten investiert wurde, ist die unabdingbare Treue zu eigenen Erkenntnissen für das zu Gestaltende, was letztlich unabdingbare Wirklichkeit ist. Nur das Thema, der Auftrag verdichtet das Werk auf die individuelle Wahrheit. So ist die Bronze WerteGemeinschaft/ Menschliche Größe von 2002 für das Forschungszentrum Jena Lobeda eine Erweiterung der vorstellbaren Grenzen, verantwortetes Tun von Menschen unvorgefasst ins Bild zu setzen. Anne-Katrin Altwein schreibt selbst dazu: „Und nun steht einer fest auf dem Boden, zeigt mit seinem Stab, seinem Werkzeug, direkt zum Mittelpunkt der Erde und mit dem anderen Ende etwas unbestimmt ins All...“. Diese Anatomie des Notwendigen wie auch Unvollkommenen verweist bei aller Konzentration der Gestalt auf den nachdenkenden, unsicher suchenden, aber freien Geist, in ein Gleichnis unergründbarer Dinge. Die formale Logik folgt der inneren Überzeugung, was zu verhandeln ist, wobei es nur diese eine Interpretation gibt, wie Anne-Katrin Altwein sie andeutet: “Jetzt wird nicht mehr fleissig beidhändig produziert und auch nicht mehr rückhaltlos sich selbst reproduziert …“.

Eine andere Disziplin in der künstlerischen Arbeit ist die Gestaltung von Köpfen, die allein für sich eine ganze Welt offenbaren: Menschliches, Psychologien, die unerhörte Anstrengung auch, mit sich zu Recht zu kommen, Leben auszuhalten. Aber auch mit diesen Köpfen ist die Gegensätzlichkeit von Skulptur und Plastik in der Formgestalt evident, denn der Mensch wächst nur scheu aus den Steinen, ist aber im Aufbau mit plastisch wachsenden Materialien krustig, strukturenreich, bewegt, verborgener, menschlichen Passionen entschieden verpflichtet.

Ganz gewiss verwickelt Anne-Katrin Altwein mit ihrer bildhauerischen Arbeit die Gesellschaft, die Öffentlichkeit in einen Streit, weil sie das bisher Geübte, Klischees nicht bedient, sondern neue Bedeutungen, in neue Reihenfolgen gebrachte Anatomien vermittelt, die nicht beiläufig interpretiert werden können.

Im fortwährenden Wahrnehmungsprozess anderer Kulturen, in Europa, Asien, Amerika, sieht sie die gleiche tiefsinnige Auseinandersetzung der Künstler mit dem Unbegreifbaren, das in eine offene Argumentation führt. Ist sie betroffen von einem Ereignis, einer Idee, findet sie die unterschiedlichsten Mittel der Umsetzung, eine Rundumsicht für den Raum, das Licht, für die angestrebte Aussage.

>>>> Text Birgit Rauschenbach

Aktualisiert: Anne-Katrin Altwein, 3 August, 2010